Weltwärts – „Zu wissen wie die ticken“

Hier ein uebernommer Artikel aus dem Blog von Sisana, einer Weltwaertsfreiwilligen in Laos. Der letzte Eintrag dort ist von Juli 2009; daher gehe ich davon aus, dass Sisana’s Freiwilligenjahr zu Ende und sie wieder zurueck in Deutschland ist. Leider ist auf dem Blog keine Kontaktemail angegeben und ich weiss auch nicht, wie lange der Blog noch Online bleiben wird. Daher habe ich mir erlaubt, den gesamten Artikel zu kopieren und hier einzustellen. Ich hoffe, dass Sisana nichts dagegen hat.

Artikel:
Seit den letzten Jahren macht sich der Trend bemerkbar, dass immer mehr junge Menschen nach der Schule für ein Jahr ins Ausland gehen. Nicht ganz unschuldig ist dabei der neue sogenannte „entwicklungspolitische Freiwilligendienst“: „Weltwärts“. Mit über 70 Millionen Euro jährlich sollen ab 2008 zehntausende neue Stellen geschaffen werden, die es Schulabsolventen/-innen kostenlos ermöglichen soll ein Jahr im Ausland zu arbeiten.

„Egotrips ins Elend“ und „Wunsch nach dem gestylten Leben“ schallte es aus der Presse zurück. Und das nicht zu Unrecht. Denn im Gegensatz zu ausgebildeten Entwicklungshelfern, fehlt den Freiwilligen jegliches Know-how und Erfahrung um in irgendeiner Weise der einheimischen Bevölkerung helfen zu können. Wobei es auch fragwürdig ist, die Betreuung einer südafrikanischen Kindergruppe überhaupt als Versuch einer wie auch immer gearteten Entwicklungshilfe zu betrachten.

Jedoch geht diese Kritik größtenteils am Kern vorbei. Auch wenn „weltwärts“ „Entwicklung“ in seinem Namen stehen hat und es vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) gefördert wird, ist es, laut offizieller Webseite auch nicht als Entwicklungs- sondern vielmehr als „Lerndienstdienst“ (1) gedacht. Durch „interkulturellen Austausch in Entwicklungsländern“ soll „gegenseitige Verständigung, Achtung und Toleranz“ gelernt werden. Und das ist doch auch schon mal was. Aber wer sich jetzt über diese selbstlosen und humanitären Ziele der Bundesregierung freut, sollte sich lieber etwas zurückhalten. Denn genauso wenig wie Entwicklungshilfe besteht die Hauptintention von „weltwärts“ in dem Austausch.

ICJA – Freiwilligenaustausch weltweit e.V.beklagt sich schon seit Jahren über die Verzerrung des Austausches seit der Einführung von weltwärts: Im Jahr 2008/2009 hat die Organisation 271 Freiwillige in das Ausland geschickt, jedoch konnten nur 47 junge Menschen aufgenommen werden. (2) Das lag nicht an mangelndem Willen, sondern daran, dass weltwärts nicht gegenseitigen Austausch, sondern lediglich die einseitige Entsendung von jungen Deutschen in das Ausland fördert. Das darf nicht als unglücklichen Zufall unter den Tisch gekehrt werden, sondern muss genauso wie der Zeitpunkt an dem Weltwärts anlief im gesellschaftlichen Kontext zur Kenntnis genommen und interpretiert werden.

Der seit den frühen 70er Jahren begonnene Strukturwandel von fordistischen über postfordistische Systeme bis hin zum globalen neoliberalen Kapitalismus (was wir meist als „Globalisierung“ in den Medien hören) bedingte einen starken Anstieg an inter- und supranationalen Konzernen. Sogar im Handwerk hat sich die Zahl der international exportierenden Unternehmen in den letzten 15 Jahren verdoppelt, so Hanns-Eberhard Schleyer, Generalsekretär des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH) . (3) Der Anstieg von global agierenden Unternehmen zieht natürlich auch eine erhöhte Nachfrage nach Arbeitskräften mit internationalen Erfahrungen nach sich. “Will Deutschland Exportweltmeister bleiben, brauchen gerade kleine und mittlere Unternehmen mehr Auszubildende mit Auslandserfahrung”, (4) so Martin Wansleben Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK). Die Bedeutung des Exports wachse noch – auch für mittelgroße Unternehmen, so Barbara Fabian, Europa-Bildungsexpertin vom DIHK. „Da hilft es einfach zu wissen, wie die anderen ticken.“

Hauptintention von „Weltwärts“ ist also weder Entwicklungshilfe, noch der Wunsch nach einer Welt ohne Rassismus und Xenophobie, sondern dem deutschen und europäischen Arbeitsmarkt mehr Arbeitskräfte mit internationaler Erfahrung zur Verfügung zu stellen, um deren superiore Position gegenüber Schwellen und sogenannten Entwicklungsländern zu festigen. Oder anders ausgedrückt, um die Paradoxität dieser These noch weiter herauszuarbeiten: Ein Freiwilliger von weltwärts hilft in einem Land der dritten Welt nicht, sondern trägt im Gegenteil indirekt zu seiner wirtschaftlichen Unterdrückung und Ausbeutung bei.

Damit will ich nicht raten, auf einen Weltwärts- Platz zu verzichten. Interkulturelle Erfahrung sind nämlich trotzdem wichtig für gegenseitiges Verständnis, unabhängig von den Beweggründen der Sponsoren. Vielmehr ist es wichtig, das Weltwärts- Programm im gesellschaftlichen Kontext zu verstehen, zu reflektieren und die mit ihm einhergehende ungleiche Wirtschaftspolitik aktiv in Frage zu stellen. Dazu kann ein Freiwilligendienst auch helfen.

Referenzen:
(1) Weltwaerts.de
(2) ICJA – News Ausgabe 34
(3) MittelstandsWiKi
(4) Ebenda

Ende des Gastkommentars von Momente im Blog von Sisana, 13.7.2009

Sisana ist nun zurueck in Deutschland; und so wie sie tausende andere Weltwaertsfreiwillige. Sie und viele andere haben kritisch reflektiert, haben hinter die Kulissen vom Weltwaertsprogramm wie auch Entwicklungshilfe geschaut. Ich wuerde wirklich gerne wissen, wie viele der jungen Leute ihre Erfahrungen nach ihrer Rueckkehr „vergessen“ und sich in der Maschinerie des Alltags, Bequemlichkeit, familiaeren Notwendigkeiten und Karriere einfangen lassen. Jedoch moechte ich den Glauben nicht aufgeben, dass die Welt nicht ganz so schlecht ist, sondern dass einige der „Hoffnungstraeger“ auch weiterhin die ungleiche Wirtschaftspolitik in Frage stellen und letztendlich zu einer notwendigen Aenderung des Systems beitragen werden.

Von den vielen tausend jungen Leuten, die mit dem Weltwaerts Programm unterwegs gewesen sind und immer noch unterwegs sind, sollten doch hoffentlich genuegend viele junge Menschen nach Deutschland zurueckkehren, die ihre aktive, kritische Sichtweise behalten; und sich dem System nicht einfach nur anpassen und mitlaufen.