Frei !

Rothshild giraffe (Murchison Park)

Als ich vor 8 Jahren meinen Gewerbetrieb aufgegeben habe, um meinem Traum nachzugehen, Englisch zu lernen und im Ausland zu leben, haben die meisten meiner Freunde, Arbeitskollegen und meiner Familie mich fuer verrueckt erklaert. Eigentlich war es nur mein Vater, von dem ich Unterstuetzung fand und 10.000 EUR Startkapital.

Es ist nicht leicht, diesen Schritt zu tun und sein vermeintlich „sicheres“ Leben aufzugeben. Das geregelte Leben im taeglichen Alltag; tagaus, tagein die selben Routinen… Ich war 34, als ich aufbrach… und bis heute habe ich keine Minute bedauert, dass ich diesen Schritt „gewagt“ habe.

Gestern waren wir auf einer Abschiedsparty von einem venezualischen Paerchen, die am Freitag nach Chile ausfliegen, zum naechsten Job. Getroffen haben wir uns in einem ethiopischen Restaurant mit super Essen und Wasserpfeife. In der Gruppe war fast keine Nationalitaet mehrfach vertreten. Wir waren eine bunte Mischung aus Venezuela, Deutschland, England, Schottland, Nigeria und Italien. Fast jeder hat schon mal in anderen Laendern gelebt und gearbeitet und die Diskussion war, wie lange muss man in einem Land gelebt haben, um dieses auf die Liste als „gelebt“ nehmen zu duerfen. Qualifizieren bereits drei Monate oder ein Jahr? Muss man dort gearbeitet haben? Zaehlt Freiwilligendienst?

Auch der Taetigkeiten sind viele… Wir sind Finanzer, Versicherungsmakler, Umwelt- oder Energieberater, Oel-Ingenieuere, Kameraleute. Vereint sind wir dadurch, dass wir unsere Jobs lieben und in denen aufgehen! Egal, ob jemand Energiesparoefen baut, oder Oelplattformen aufstellt, oder ein Landwirt ist; wir arbeiten genau in den Bereichen, in denen wir richtig gut sind, die uns wirklich Spass machen, und wo wir um nichts in der Welt mit jemanden anderem den Job tauschen wuerden wollen.

Egal, mit wem ich rede, der Funke springt ueber! Habe ich vorher nicht viel von Fair Trade – Farming gewusst; hier bin ich mit Leuten zusammen, die mir ihren Job erklaeren. Ich habe Interesse, was andere machen, und andere haben Interesse, was ich mache.

Interkulturell, international, intermultilingual.

Alltag gibt es nicht. Kein Tag ist wie der andere. Ich kann die besten Plaene machen; es kommt immer anders. Ich arbeite natuerlich vorwiegend mit Ugandern zusammen (die bilden hier die Mehrheit im Land!); aber meine anderen Arbeitskollegen sind aus Niederlande, Kenia und England. Ich muss offen sein, ich muss alle Kulturen erlauben, ich muss andere Sichtweisen verkraften, andere Arbeitsweisen. Ich darf ueberrascht sein, aber nicht genervt; denn auch andere muessen mich akpetieren, meinen kulturellen Background; halt so wie ich bin, und so wie ich nicht anders sein kann. Ich kann mich nicht auf Dauer verstellen. Niemand kann das. Also akzeptiert man sich gegenseitig, wie man ist.

Viele meiner Freunde und Familie befuerworten inzwischen nicht nur, dass ich im Ausland arbeite und lebe, manche scheinen sogar etwas „neidisch“ zu sein. Aber warum, frage ich mich, faellt es uns Menschen so schwer diesen Schritt ins Ungewisse zu tun? Man fuehlt sich miserabel an dem Platz, wo man lebt. Man hasst die Wohnung, man hasst den Job, man hasst die Nachbarn; und trotzdem haelt man an dem fest, was man hat. Besser der Teufel den man kennt?

Ich persoenlich habe definitiv an Lebensqualitaet gewonnen! Auch finanziell denke ich, dass ich auf dem Weg zur persoenlichen „Sanierung“ bin. In Deutschland hatte ich meinen Gewerbebetrieb. Viel Arbeit, kaum Freizeit und hohe Schulden. Kaum Zeit fuer Freunde, immer im Rennen, irgendetwas zu schaffen, abzuliefern, fertigzumachen. Mein Lebenspartner hat sich von mir getrennt (nach 15 Jahren Zusammenleben), als ich mich nach England ins „Ungewisse“ aufgemacht habe und mein neuer Lebenspartner, jetzt mein Mann, war ebenfalls sehr skeptisch, als ich mit dem Vorschlag kam, nach Uganda auszureisen… und jetzt, nach nur 16 Monaten, sehen wir endlich dem Tag entgegen, wo wir schuldenfrei sein werden. Die Kreditkarten sind abgezahlt, die Ueberziehungskredite abgetragen; und wir koennen den Tag nicht erwarten, wenn wir endlich sagen koennen: Null Schulden!

Wir sind also nicht nur dem Alltag entflohen; dem taeglichen, niemals wechselndem Trott, sondern auch der scheinbaren „Sicherheit“ von kreditiertem Haus und Grundstueck, Leben auf Pump und Konsumzwang. Ich fuehle mich endlich frei! Frei von Zwaengen und persoenlichen Verpflichtungen, und der ‚rat race‘; aber vor allem, arbeite ich in einem Job, der mir wahnsinnigen Spass macht, wo ich taeglich mitdenken muss und wo ich mich abends echt freue, schlafen zu gehen, weil ich weiss, dass ich am naechsten Morgen zu einer Arbeit gehe, die mich den ganzen Tag gefangen halten wird.

Ein in Deutschland oft gebrauchtes und benutztes Wort, von welchem ich nicht einmal die englische Uebersetzung kenne, und welches ich hier in Uganda niemals gebrauche ist „rumjammern“. Ganz oft, wenn ich mit jemanden in Deutschland per Skype telefoniere, hoere ich von der anderen Seite vorwiegend Besorgnis und Negativnachrichten: Die Wirtschaftskrise haette eingeschlagen, und daher seien die Firmenumsaetze runtergegangen, man wisse nun nicht, wie es weitergeht. Fuer Harz IV Leistungsempfaenger wurden die Rentenbeitraege abgeschafft und man mache sich Sorgen um die Zukunft. Die Nachbarn haetten ihre Baumaterialien auf der Strasse abgeladen und alle wuerden sich darueber beschweren. Die Nichte heirate einen Auslaender und die heile Welt des Schwagers wuerde nun zusammenbrechen. Man suche einen neuen Job, aber die Arbeitslosenzahlen steigen. Es sei ungewiss, ob man nach dem Urlaub noch in der Firma weiterarbeiten koenne, denn es seien Geruechte am Laufen, dass Stellen abgebaut werden. Es regne seit Wochen und die Stimmung sei trueb.

So ein Unterschied zu Uganda. Hier ueberwiegt ‚positives‘ Denken. Ueberall. Rumjammern eigentlich unbekannt. So waren wir im April in Deutschland, im Juli fliegen wir nach Zanzibar, und im November nach Kapstadt. Zwischendurch reisen wir in Uganda rum. Auf Arbeit bin ich mit wissbegierigen und arbeitsamen Kollegen zusammen; abends und an Wochenenden treffe ich mich mit (neuen) Freunden aus aller Welt, die ihre Jobs lieben, so wie ich; und sich genauso frei fuehlen, so wie ich. Und dann lebe ich auch noch in einem Land mit intelligenten, freundlichen und hilfsbereiten Menschen, und taeglich Hochsommer – nicht zu vergessen. Kann das Leben idealer sein?

Lieber Papa, ich danke Dir fuer die moralische (und auch finanzielle) Unterstuetzung, diesen Schritt zu tun! Nun tu‘ diesen Schritt auch fuer Dich selber, und befreie Dich aus der Maschinerie, die sich Alltag nennt und wo Du glaubst, dass Du da nicht raus kannst. Du hast es verdient. Jeder hat es verdient!

Ich habe Niederlaender kennengelernt, die haben vor 10 Jahren ihr Business in Niederlande verkauft und aufgegeben, sind nach Uganda gekommen – und betreiben jetzt hier eine Organisation mit 300 Kleinfarmen; produzieren Baumwolle und Fair-Trade Produkte, sind wesentlich gluecklicher als jemals in den Niederlanden, und vor allem in der Lage aus Gewinnen zu finanzieren und zu investieren.

Amerikanische Piloten, die hier eine Flugschule und Airline betreiben. Ein englischer Busunternehmer mit einer Flotte von 30 Bussen. Die Wirtschaft waechst und waechst; und es ist (immer noch) genug Platz fuer jeden, der in diesem spannenden Land und Kontinent etwas bewegen moechte.

Wer mir das nicht glaubt, kaufe sich doch bitte einfach ein Flugticket (Emirates, Ethiopian Airlines, Brussels Airlines, KLM) und kommt mich besuchen. Mit etwas Glueck 550 EUR Hin und Zurueck pro Person (Buchungen 3-4 Wochen im voraus sind oftmals etwas guenstiger als zu langfristige Buchungen).

Es ist total erstaunlich, was fuer eine Angst vor Afrika und Veraenderung in vielen europaeischen Koepfen herrscht, und wie schwer es uns faellt, uns aus dem (oftmals ungeliebten, jedoch gewohnten) Umfeld herauszureisen. Auch ich war da keine Ausnahme, auch ich hatte enorme Bedenken, nach Uganda zu ziehen, als mir ein Job vor 1,5 Jahren angeboten wurde. Europa fuehlte sich irgendwie so viel sicherer an. Auch mein Sohn, bevor er dann das erste mal zu Besuch kam, hatte tausend und eine Frage und Bedenken. Schlangen, Gifttiere, Krankheiten… Jetzt kommt er, so oft er nur kann.

Uganda ist schon lange nicht mehr das Land von miserablen Krankheiten und Armut. Uganda ist ein bluehendes Land mit enormen Wirtschaftswachstum und tausenden Moeglichkeiten. Und trotzdem… obwohl ich das predige und predige… von meinen Freunden, Bekannten und Verwandten hat es nur mein Sohn geschafft, diesen Schritt zu „wagen“ und nach Uganda (in Urlaub) zu kommen. Warum?